Geschichte erleben! Auf den Spuren jungsteinzeitlicher Großsteingräber, mittelalterlicher Städte und Burgen in Ostwestfalen und Nordhessen

Ein Bericht von Silke Vierkötter

Unsere zweite Exkursion 2023 führt uns zunächst in den Osten Westfalens, wo wir im Altenautal bei Paderborn die größte Dichte erhaltener Großsteingräber Westfalens erkunden. Gut gelaunt starten wir um 9 Uhr in Herne. Unsere erste Station ist das Galeriegrab I in Atteln bei Lichtenau. Nach einem kurzen Fußweg durch ein kleines Waldstück erreichen wir das Grab. Es wurde 1926 entdeckt. Grabungen fanden 1926 und 1978 statt. Wie schon bei der letzten Exkursion versorgt uns Dr. Kerstin Schierhold wieder mit spannenden Informationen. Bei diesem Grab, das zur Wartbergkultur gehört und über die Schmalseite zugänglich war („Typ Züschen“), gibt es keinen für diese Gräber eigentlich typischen Vorraum und keinen Türlochstein. Es ist das einzige Galeriegrab mit Teilrekonstruktion. Das Baumaterial ist Kalkstein, welcher aus ca. 2,7-2,8 km Entfernung stammt.

Gegen 11.30 Uhr erreichen wir die Galeriegräber Kirchborchen I und II, die mitten in einem Wohngebiet liegen. So eine größere Gruppe haben die Anwohner an den Gräbern bestimmt schon lange nicht mehr gesehen! Das Grab Kirchborchen I fand erste Erwähnung 1575. Grabungen wurden hier 1973 und 1976 durchgeführt. Die Grabkammer war über die Längsseite erschlossen, gehört also zum „Typ Rimbeck“, allerdings fehlt auch hier wieder ein typisches Element, nämlich der Gang. Dafür gibt es einen zweiteiligen Türlochstein, der aber aktuell recht zugewachsen ist. Nach einem kurzen Fußweg erreichen wir das Grab Kirchborchen II. Dieses Grab fand ebenfalls erste Erwähnung 1575. Im Gegensatz zu Kirchborchen I lag der Zugang hier wieder an der Schmalseite (“Typ Züschen”), er weist einen Vorraum und ebenfalls zweiteiligen Türlochstein auf. Für beide Gräber wurde anstehender Kalkstein als Baumaterial verwendet, das heißt es gab keine Transportwege, anders als in Atteln. Die Belegungszeit der von uns auf dieser Exkursion besichtigten Gräber lag ca. zwischen 3500 – 2800 v. Chr.

Weiter geht es Richtung Großsteingrab Lohne-Züschen bei Fritzlar, schon im Nordhessischen gelegen. Dieses berühmte Großsteingrab wird von einer Schutzhütte überdacht und sogar extra für uns aufgeschlossen, herzlichen Dank dafür und für ein paar einleitende Worte zur Anlage Herrn Schotten. Es handelt sich um eine etwa 20 Meter lange und 3,50 Meter breite, in den Boden eingetiefte Anlage, die etwa in Ostnordost-Westsüdwest-Richtung orientiert ist. Die Längsseiten weisen jeweils 12 Steine auf. Lediglich ein Stein der Nordseite fehlt. Auf den Steinen dieses berühmten Megalithgrabes erwarten uns die ältesten Rad- und Wagendarstellungen Mitteleuropas. Dr. Kerstin Schierhold publizierte in ihrer 2012 erschienenen Dissertation zur Megalithik in Hessen und Westfalen eine vollständige Zusammenstellung der aus dem Grab stammenden Funde. Nach den interessanten und spannenden Erläuterungen durch Dr. Kerstin Schierhold erhalten wir Gelegenheit, uns die Rad- und Wagendarstellungen aus nächster Nähe anzugucken. Dies wird von unseren Vereinsmitgliedern auch rege in Anspruch genommen. Zum Bus zurückgekehrt, erwarten die Mitglieder bei bestem Wetter frisch belegte Brötchen, Obst und kleine Leckereien. Slawa, unser Busfahrer, versorgt uns mit frischem Kaffee.

Anschließend fahren wir gestärkt weiter Richtung Fritzlar. Der Graue Turm – mit 38 Metern einer der höchsten erhaltenen städtischen Wehrtürme Deutschlands – nimmt uns in Empfang. Ab hier geht es auf Grund der engen Altstadtgassen zu Fuß weiter.

Gegen 15 Uhr erwartet uns die Museumsleiterin Stefanie Mnich im Museum Hochzeitshaus. Zwischen 1580 und 1590 erbaut, ist es eines der größten Fachwerkhäuser Hessens mit drei Stockwerken. Das frisch renovierte Museum zeigt Objekte aus 1300 Jahren Stadtgeschichte. Zeitgemäß aufbereitet informiert Stefanie Mnich durch ihre lebhafte Führung und stellt aktuelle Bezüge her. Für uns besonders interessant: Wie die Grabkammer des Großsteingrabes Lohne-Züschen vor ca. 5500 Jahren aussah, erfährt man an einer Medienstation.

Nach dem Museumsbesuch beziehen wir unsere Zimmer im Hotel Kaiserpfalz bzw. Hotel Domgarten in Fritzlar. Nach einer kurzen Verschnaufpause entdecken wir bei einer 60minütigen Stadtführung durch die Stadtführergilde Fritzlar die historische Altstadt und erfahren Interessantes zu Fachwerk, Tradition und Geschichte. Am Dom genießen wir die herrliche Aussicht Richtung Ursulinenkloster. Zu sehen ist auch die größte Sauerkrautfabrik Europas – das Werk Fritzlar der Fa. Hengstenberg. Sauerkrautgeruch können wir an diesem Samstag jedoch nicht feststellen.

Um 19.30 Uhr lassen wir den Abend im Restaurant „Das Nägel“ bei einem gemütlichen Beisammensein ausklingen. Eine kleine Gruppe lässt sich noch spontan Ouzo bei einem Griechen gegenüber vom Hotel Kaiserpfalz schmecken. Fritzlar – zum Bleiben schön.

Sonntagmorgen fahren wir ausgeschlafen weiter nach Kassel. Im Hessischen Landesmuseum Kassel erwartet uns Frau Dr. Irina Görner, die Sammlungsleiterin für die Abteilung Vor- und Frühgeschichte. Das Museum wurde 2016 neueröffnet und beherbergt u. a. archäologische Funde von der Altsteinzeit bis in die frühe Neuzeit. Frau Dr. Görner bringt uns besonders die Funde der Wartbergkultur aus mehreren Galeriegräbern, und den berühmten Zeichenstein von Züschen mit Rindergespannen, Rad- und Wagendarstellungen näher. Wer mag, kann den Turm des Landesmuseums hinaufsteigen. Von dort oben hat man einen tollen Ausblick u. a. auf den Herkules auf dem Oktogon im Bergpark Wilhelmshöhe Kassel.

Letzte Station auf unserer Rückfahrt ist die Holsterburg bei Warburg. Es handelt sich um eine Niederungsburg, die wahrscheinlich um 1150 erbaut und erstmals 1191 schriftlich erwähnt wurde. Bereits 1294 wurde die Burg wieder zerstört. Die Anlage hat eine oktogonale Ringmauer. In Deutschland gibt es insgesamt nur drei oktogonale Burgen, wir haben also eine spannende Seltenheit vor uns, die wir ausgiebig in Augenschein nehmen. Bei schönem Wetter machen wir es uns mit unserem Lunchpaket auf den Bänken ringsum noch einmal gemütlich und lassen die Exkursion bei einem netten Plausch ausklingen.